Das griechische Gewand des Christentums: Das Johannesevangelium als Keim eines neuen Glaubens

Das griechische Gewand des Christentums: Das Johannesevangelium als Keim eines neuen Glaubens

von Christoph Rau |

Zwei Gesichtspunkte rücken das Johannesevangelium in unser Blickfeld: einerseits die übersichtliche Gliederung, auf die Rudolf Steiner schon in frühen Vorträgen aufmerksam machte, und andererseits seine vielfache Beziehung zur griechischen Kultur.


EAN 9783723515365

Hersteller: Verlag am Goetheanum

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Rudolf Steiner sah im Johannesevangelium das griechische Kleid für das heraufziehende Christentum. Dieses Urteil führte zu der Frage, wie sich dieser Befund im Wortlaut des Evangeliums bestätigt und welches Echo er im Lauf der Jahrhunderte fand. Es zeigte sich, dass die drei großen Themen des Johannesevangeliums allein in der griechischen Denkweise das ihrem Wesen entsprechende Verständnis finden konnten.
Klemens und Origenes von Alexandrien begriffen als erste Denker die Bedeutung der Verbindung von Christentum und Griechentum. Bereits im frühen Mittelalter wurde das Hauptwerk des Origenes diffamiert und er selbst als Ketzer gebrandmarkt. Abgesehen von wenigen Ausnahmen ist seine wahre Bedeutung bis heute nicht erkannt, werden noch immer die Präexistenz der Menschenseele und die Reinkarnation geleugnet oder bekämpft, die Origenes doch aus den Berichten der Bibel hergeleitet hatte. Unser Buch ist ein Hinweis auf den Brückenbau zwischen den Kulturen, den die beiden Heroen in der Frühzeit des Christentums eingeleitet haben, bis er im Weltbild der Anthroposophie eine wissenschaftliche Festigung erhielt.


Rezension

An der Verschmelzung des Christentums mit der Ideenwelt der hellenistischen Philosophie, die schon bei Paulus begann und durch die großen Kirchenlehrer auf ihren Höhepunkt gekommen ist, scheiden sich heute die Geister: Für diejenigen, die in der jüdischen Wurzel das Wesentliche des Christentums sehen, gelten Paulus und seine Nachfolger als »Verfälscher« des eigentlichen Impulses. Anders denken diejenigen, die – wie z.B. der Innsbrucker Theologe Paul Weß – die Notwendigkeit anerkennen, von verschiedenen »Inkulturationen« zu sprechen und diese als zur Sache gehörend zu betrachten. Etwas frei können wir diesen Begriff so charakterisieren: Was aus der einmaligen Inkarnation als Impuls entstanden ist, lebt nur weiter, wandelt sich – und kann, ja muss für jede Zeit und jedes kulturelle Umfeld sein spezifisches Gewand erhalten. Auf knapp 200 Seiten schlägt Rau den Bogen vom Evangelisten Johannes bis zum dem im 6. Jahrhundert verketzerten Origenes. Minutiös zeigt Rau hellenistische Bezüge im Johannesevangelium auf, angefangen bei den zentralen Begriffen (Logos, Licht, Wahrheit, Liebe), über die sieben Zeichentaten (hier besonders einleuchtend!) bis hin zum Lazarus-Drama. Wer Raus frühere Veröffentlichungen kennt, wird manches Bekannte finden, und wird umso mehr Freude an den neu hinzugekommenen Aspekten und Bezügen haben. Methodisch wichtig ist, dass mit dem »griechischen Gewand« nicht ein schlechterdings gültiger Verständnis-Schlüssel gemeint ist, sondern jener Gesichtspunkt, den Rudolf Steiner meinte, als er 1918 entwickelte, in welchem Verhältnis Judentum, Griechentum und Römertum zu dem Christus-Impuls stehen. Über das Griechentum heißt es da: »Die Gedanken, durch welche die Welt das Christentum denken konnte, sie sind griechische Geistesweisheit.« Dies wird nun im 2. Teil entfaltet. Dabei beschreibt Rau den Einfluss der eleusischen Mysterien, der Märtyrer und Apologeten, und gelangt dann zu den bedeutenden Lehrern des 2. und 3. Jahrhunderts: Clemens von Alexandria (150 – 215) und Origenes (185 – um 254). Begegnet uns Clemens als ein Wegbereiter, so erreicht durch Origenes die Vermählung der Grundtatsachen des Christentums mit den seit langen Jahrhunderten als einer Art Morgenröte entwickelten Ideen der Philosophie ihre eigentliche Ausgestaltung. Rau zeigt dies systematisch in einem themenbezogenen Gang durch Origenes' Hauptwerk ›Peri Archon – Vier Bücher von den Prinzipien‹. Dabei kommt es Rau hauptsächlich auf drei Aspekte an: Die Logoslehre, die Willensfreiheit und die Wiederverkörperung. Natürlich ist das dritte Thema besonders brisant, denn nicht wenige Theologen leugnen standhaft, dass dieser Gedanke im Christentum jemals wirklich relevant gewesen sei. Rau stellt ausführlich dar, wie Origenes die Wiederverkörperung anhand der Lehre von der leiblichen Auferstehung entfaltet und somit zu dem Schluss kommt – und das macht das Spezifische seiner Wiederverkörperungs-Idee aus –, dass der Mensch zu jeder neuen Verkörperung denselben Leib erhält: »Die Wiederverkörperung eröffnet den Zugang zum Erlangen der Reinheit; denn Wiederverkörperung ist für Origenes kein Luxusgedanke, sondern das unverzichtbare ontologische Grundprinzip des Daseins überhaupt, das die Fortentwicklung des Menschen bis zu seiner endgültigen Reinigung ermöglicht.« (S. 162) Durch Origenes’ Verketzerung sind bekanntlich seine Schriften aus den Bibliotheken entferntworden, wodurch seine Lehre durch eine große Zeitspanne nicht tradiert und rezipiert werden konnte. Der verbreiteten Einschätzung, dies sei für die Bewusstseinsentwicklung förderlich gewesen, indem jahrhundertelang nur dieses eine Erdenleben in Betracht kam, widerspricht Rau vehement (S. 194); man muss dem freilich nicht zustimmen, wie auch anderen etwas gewagten Urteilen in den Einzeldarstellungen nicht. Dieser große und reiche, mit einem ausführlichen Bildteil versehene Überblick ist darum so wichtig, weil das »griechische Gewand des Christentums« (ein wirklich ausgezeichnet gewählter Titel) erst möglich gemacht hat, was heute mehr denn je nötig ist: das Christentum im Hinblick auf den Menschen konkret zu durchdenken, den rationalen Zugang für aufgeklärte Geister zu suchen. Dafür bietet das Buch eine Fülle von Aspekten und Anregungen, sodass man über leider vorhandene kleine Mängel wie den etwas schlechten Einband und das leider fehlende Literaturverzeichnis leicht wird hinwegsehen können. Abgeschlossen werden soll diese Betrachtung mit einem Satz, in dem Raus Anliegen und das Resultat des Buches wunderbar auf den Punkt gebracht wird – womit auch der Bogen zu den einleitenden Gedanken geschlagen wird: »In Wahrheit hat Origenes die griechischen Begriffe der durch Christus geschaffenen Lebenswirklichkeit dienstbar gemacht und neue Begriffe gebildet, getreu dem Auftrag Christi an die Apostel, in die Welt zu gehen und alle Völker zu lehren.« (S. 195)

Quelle: Die Drei, Heft 1/2, 2017

Erscheinungsdatum: 31.03.2015
Auflage: 1.
Seiten: 200
Einbandart: kartoniert
ISBN: 978-3-7235-1536-5