Der Baugedanke des Goetheanum

Der Baugedanke des Goetheanum

von R. Steiner / R. Halfen / R. Steiner Nachlassverwaltung (Hg.) |

Zehn Vorträge, gehalten an verschiedenen Orten zwischen dem 2. Oktober 1920 und dem 30. Dezember 1921em 12. Juni 1920


EAN 9783727428906

Hersteller: Rudolf Steiner Verlag

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Der Geist der Kunst in den organischen Formen des Bauens Rudolf Steiner hielt zahlreiche Vorträge über das Projekt des Goetheanumbaus, und dies aus mehreren Gründen: als Reaktion auf Missverständnisse und Anfeindunungen von aussen, als vertiefende Erläuterungen für die Mitarbeitenden und zur Vorbereitung auf die Eröffnung. Diese sind bereits erschienen unter den Titeln «Wege zu einem neuen Baustil» (GA 286), «Der Dornacher Bau als Wahrzeichen geschichtlichen Werdens und künstlerischer Umwandlungsimpulse» (GA 287) sowie «Architektur, Plastik und Malerei des Ersten Goetheanum» (GA 288). Während der zuletzt genannte Band Steiners Vorträge bis zur Eröffnung des Goetheanumbaus im Herbst 1920 umfasst, beinhaltet der vorliegende Band Vorträge und Bauführungen ab Herbst 1920 bis zu dem letzten dokumentierten Vortrag dieser Art im Dezember 1921, ein Jahr vor dem Brand des Goetheanum in der Silvesternacht 1922/23. Der Titel geht zurück auf ein erstmals im Jahre1932 von Marie Steiner herausgegebenes Buch «Der Baugedanke des Goetheanum», das, neben dem Bildmaterial,nur einen Vortrag umfasste. Er kann insofern als eine grunderweiterte Neuauflage und Fortführung angesehen werden. Da es sich bei dieser Ausgabe um eine Zusammenstellung von einzelnen Vorträgen, Vortragspassagenund nur wenigen zusammengehörigen Vorträgen handelt, stehen die Überlegungen für sich und können einzeln studiert werden. Der Band enthält in einem umfangreichen Abbildungsteil zahlreiches historisches Bildmaterial.


Rezension

Nach dem Buch von Sonja Ohlenschläger ›Rudolf Steiner – Das architektonische Werk‹ hat der Michael Imhof Verlag vor kurzem ein weiteres Buch zu Steiners Architektur herausgebracht. Es handelt sich um die deutsche Fassung der 2015 in Buenos Aires erschienenen Arbeit ›Geometria y esoterismo el edificio del Goetheanum‹ des Madrilenen Iván Gómez Avilés. Indem der Verlag zwar den Untertitel der Studie (›Quellen zum Studium der Architektur Rudolf Steiners und des Einflusses der Theosophie, der Anthroposophie und anderer esoterischer Bewegungen auf die moderne Kunst‹) in die deutsche Fassung übernommen, den Haupttitel dagegen in ›Der Baugedanke des Goetheanum‹geändert hat, wurde aus der Studie eines Aspektes der Goetheanumbauten im Handumdrehen eine Publikation mit dem Anspruch, dem Leser hier das Wesentliche und Charakteristische des Goetheanums zu vermitteln. So respektabel das Bemühen eines Verlages auch sein mag, mit den Titeln seiner Bücher möglichst viele Leser anzusprechen, so problematisch ist eine solche Umbenennung, auch wenn man nicht gleich von einem Etikettenschwindel sprechen möchte – zumal damit auch ein Titel okkupiert wird, der seit 1932 einem von Marie Steiner herausgegebenen Buch mit Primärquellen zu Steiners Architektur gehört und noch in diesem Jahr neu erscheinen wird. 

Nun gibt der Autor im Text gleich mehrfach unumwunden zu, dass Rudolf Steiner selber den Gesichtspunkt dieser Arbeit abgelehnt hätte und sie somit in klarem Gegensatz zu dem stehe, was Steiner selber in seinen Vorträgen über den Goetheanumbau und dessen konzeptionelle Grundlagen angegeben hat: die Vermeidung esoterischer und okkulter Symbole. Hier liegt jedoch schon das nächste Problem dieser Arbeit, nämlich die erhebliche Differenz zwischen dem, was Steiner selbst in den betreffenden Vorträgen als Symbol bezeichnet hat, und dem, was der Autor darunter versteht: nämlich alles das, was man heute in populäresoterischem Zusammenhang gern als «heilige Geometrie» bezeichnet, und das sich in diesem Fall vor allem um das Pentagramm gruppieren lässt. Zur eindimensionalen Seite hin ist das der sogenannte »goldene Schnitt«, der sich als Proportionsverhältnis im Pentagramm findet, zur dreidimensionalen Seite hin der aus zwölf regelmäßigen Fünfecken bestehende Dodekaeder mit seinen esoterischen Konnotationen, etwa im Rahmen der fünf sogenannten »platonischen Körper«. Dazu kommen noch ganzzahlige Längen, die nach einigen biblischen Texten (z.B. 1 Kön. 6,3) dem salomonischen Tempel zugeschrieben werden, ferner das damit verbundene Motiv der beiden Säulen Jachin und Boas. Und schließlich die natürlichen Zahlen sowie deren symbolische Konnotationen.

Mit diesem Arsenal im Gepäck ist es nicht mehr schwer, auf Schritt und Tritt »Symbole« auszumachen. Die Frage ist nur, ob man damit auch das Wesentliche der Goetheanumbauten trifft. Diese »heilige Geometrie« ließe sich ohne weiteres auch auf ein Fußballfeld anwenden. Trifft man damit schon die Intentionen der Erfinder und den Zweck der Anlage? – Wäre der Autor einmal dem nachgegangen, was Steiner an den betreffenden Stellen mit »Symbol« (bzw. »Allegorie«) meint, so wäre er bald darauf gekommen, dass lineargeometrische Größen und Proportionen wie der goldene Schnitt gar nicht dazugehören – wofür sollte all dies auch Symbol sein? Wie weit sich der Autor dabei von dem entfernt, was man überhaupt noch als Symbol bezeichnen kann, zeigt sich daran, dass er schließlich sogar noch den annähernden numerischen Wert des goldenen Schnittes (0,618 bzw. 0,382) in dem Verhältnis der Rauminhalte der beiden aufeinanderfolgenden Goetheanumbauten aufzufinden sucht!

Schon was die elementarsten Informationen über Steiners Leben und Werk betrifft, zeigt sich immer wieder eine zum Teil bestürzende Lückenhaftigkeit der Kenntnisse des Autors, wenn z. B. die Autobiografie Steiners »Mein Lebenslang« heißt, an einer anderen Stelle erklärt wird: »laut Anthroposophie ist der Mensch dreigegliedert, nämlich in einen physischen, ätherischen und astralischen Leib« (S. 73) oder Steiner seiner Frau später »das Verfassen seiner Vorträge« anvertraut habe (S. 26). Statt solider Quellen muss sich der Leser durch seitenlange Vertextung von Sekundärliteraturlisten hindurchquälen, ohne jegliche Auswertung oder gar systematisch geordnete Primärdokumente, um die aneinandergereihten Meinungen auch sachgemäß beurteilen zu können.

Das Kapitel über die Beziehung der modernen Kunst zur Esoterik bringt genauso wenig brauchbares Material, aber dafür immer wieder bizarre Passagen: So zeige sich die Beziehung Yves Kleins zum Zen-Buddhismus darin, dass er »nackte Frauen als Pinsel benutzt« hat (S. 36), oder Kandinskys Beziehung zur Theosophie darin, dass in Komposition IV »unbestreitbar« die dunklen Farben unten, die hellen oben sind. (S. 31) Das sind keine Ausrutscher, sondern Beispiele, die sich beliebig vermehren ließen. Dazwischen immer wieder die Bemerkung, dass das alles schon sehr gut erforscht sei.

Besonders krass zeigt sich die völlig unkritische Behandlung von Sekundärliteratur darin, dass der fanatische Steiner-Hasser, Antisemit und möglicherweise maßgebliche Anstifter zum Goetheanum-Brand Pfarrer Max Kully aus Arlesheim, mit seinem lügenhaften Pamphlet ›Die Geheimnisse des Tempels von Dornach‹ (1920) wie ein seriöser Forscher neben einem Autor wie Wolfgang Pehnt angeführt wird. (S. 49) Warum? Weil Kully behauptet: »Der Dornacher Tempel besitzt also doch eine esoterische Symbolik – und ist für den Geheimschüler das okkulte Anschauungs- und Bildungsmittel, auswelchem angebliche Weltengeheimnisse abgelesen werden können.« (S. 72) Das passt zur Hypothese, deshalb wird es zitiert.

In dem Durcheinander von Grundrissen mit eingezeichneten 21-Meter-Strecken, Fünf-, Sieben oder Neunsternen, übereinandergelegten Grundrissen usw. geht beinahe unter, was für das Verständnis und das sachgemäße Herangehen grundlegend ist: Steiner hat für seine architektonischen Werke niemals geometrische Grundrisse erstellt, sonders stets plastische Modelle verfertigt, die vom Baubüro in entsprechende Architekturpläne umgesetzt werden mussten. Die einzige relevante Grundrisszeichnung aus Steiners Hand ist die – nicht als solche erläuterte – aus freier Hand gezeichnete Skizze für den Umriss der neuen Terrasse für den Goetheanum-Neubau. Hier zeigt auch die einzige wirklich instruktive Abbildung des Buches (auf S. 65), wie erheblich die Abweichungen zwischen den Maßen des Modells und den Architekturplänen sein konnten. Durchaus nachvollziehbar ist es, dass man bei der Erstellung der Pläne im Baubüro versucht haben mag, die im Modell noch unscharfen Maße stringent zu machen und sich hierfür übergeordneter geometrischer Gesetzlichkeiten zu bedienen. Was in den einschlägigen Studien zur »heiligen Geometrie« aber fast immer vergessen oder ausgeblendet wird, ist die Frage, ob diese Verhältnisse bei der tatsächlichen Begehung des fertigen Baus überhaupt wahrgenommen werden können, wenn sie anschaulich gar nicht simultan erscheinen. So bleibt es auf Interpretenseite immer wieder bei geometrischen Spielereien auf unpräzisen Grundrissen zwecks pseudomystischer Selbstbefriedigung.

Steiners bittere Bemerkung aus dem Vortrag vom 5. Januar 1924 – also drei Monate vor Erstellung des Modells für den Neubau – wird nicht erwähnt oder ist gänzlich unbekannt. Sie lautet: »Wir kamen dazu, den Plan zum Goetheanum zu fassen, wo auch alle möglichen guten Ratschläge herankamen. Ich sehe heute noch viele Menschen sitzen, die dazumal auch an dem Plan des Goetheanums mitdachten, wie man da und dort hineingeheimnissen soll das Pentagramm, wie man einen Mittelpunkt finden soll zwischen ich weiß nicht was schon allem, wie man einen Mittelpunkt symbolisieren soll. Alles Mögliche wurde da zusammengehalten, nur – Kunst war etwas Fremdartiges! Und ich hatte schon manche Schwierigkeit, das rein Künstlerische da hineinzubringen.« Von dem Künstlerischen der Goetheanumbauten ist bezeichnenderweise auch in dieser Arbeit nirgendwo die Rede! Tatsache ist allerdings, dass sich die von Steiner erwähnte Neigung zum symbolisch-kunstfernen Interpretieren der Goetheanumbauten in der anthroposophischen Sekundärliteratur bis heute erhalten hat. Davon zehrt diese Arbeit, und sie ist insofern auch ein Ergebnis unsachgemässer Sekundärliteratur anthroposophischer Provenienz.

Über die fatale Mixtur aus monomanischer Fixierung auf einen isolierten Aspekt, naiver Aneinanderreihung diverser Meinungen und methodischer Konfusion kann auch die ansprechende Gestaltung des Bandes durch den Verlag nicht hinwegtäuschen. Die schweren wissenschaftlichen Defizite, die offenbar nicht durch eine entsprechende Fachlektorierung eliminiert wurden, werfen natürlich Fragen auf, was von der angeblichen »Betreuung« dieser Arbeit durch den jetzigen Leiter eines angesehenen deutschen Instituts für Architekturgeschichte zu halten ist. Auf persönliche Anfrage des Rezensenten hin hat sich dieser denn auch in aller Form von dieser Arbeit distanziert, die Gomez an einer Stelle sogar als »Dissertation« bezeichnet, obwohl sie niemals als solche eingereicht wurde. Seriös geht anders.

Nach dem bereits mit einigen sachlichen Fehlern behafteten Band von Sonja Ohlenschläger und dem bereits deutlich defizitären Kapitel über Steiners Architektur in Helmut Zanders ›Anthroposophie in Deutschland‹ ist mit diesem Produkt nun der vorläufige Höhepunkt einer traurigen Entwicklung erreicht. Man kann nur hoffen, dass es sich dabei um Kinderkrankheiten der neueren akademischen Beschäftigung mit Steiners Architektur handelt, für die es übrigens mit den Publikationen von Wolfgang Pehnt oder Werner Blaser auch erfreuliche Gegenbeispiele gibt.

Quelle: Die Drei, Heft 4, 2017

Erscheinungsdatum: 01.06.2017 
Auflage: 1
Seiten: 240, 103 Foto(s),schwarz-weiß, 3 Foto(s), farbig
Einbandart: Leinen
Format / Gewicht: 30,0 x 21,4 cm 956
Band: 289
ISBN: 9783727428906