Ich - Leib - Person

Ich - Leib - Person

von Andreas Pfäfflin |

Integrale Wirklichkeit von Ich und Leib vor Zeit und Raum - in Zeit und Raum - über Zeit und Raum hinaus


EAN 9783941664463

Hersteller: Novalis-Verlag

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Wie können wir die "kommende Zeit", von der in der Überlieferung längst erzählt wird, über unseren Glauben und über unsere rationale Erkenntnis hinaus als eine Wirklichkeit in uns aufgehen lassen, die das bisherig Vertraute übergreift? Wie erscheint hierbei das Ich vor der Zeit, in der Zeit und über die Zeit hinaus ? Wie kann das Ich ein "Bin", einen Leib für eine Wirklichkeit entwickeln, die ursprünglich seiend, historisch gewachsen und ebenso noch werdend ist? Wie können wir uns also einen "personalen Leib" erringen, in welchem wir Person und darin Subjekt dieser übergreifenden Wirklichkeiten sind ?

Wollen wir uns diesen Fragen nähern, kommen wir nicht umhin, uns mit dem Ich selbst und mit seinen Bewusstseinsstrukturen, also mit den Strukturen unserer Wahrnehmung an sich auseinanderzusetzen. Aus welcher Struktur heraus kann das Ich den Ursprung und die Welt oder gar sich selbst überhaupt wahrnehmen? Wer ist es, der ahnt, fühlt, empfindet, glaubt und denkt? Wer ist "ich" im Anfang, im Gewordenen und im noch Werdenden?

Wir kommen weiter nicht umhin, uns mit den Strukturen unseres Seins, dem "Bin" unseres Ich, auseinanderzusetzen. Wie ist das Bin, also der Leib unseres Ich jeweils strukturiert, mit welchem wir sowohl unbewusst wie bewusst sind und wahrnehmen ? 


Rezension

Die Worte »Ich« und »Leib« sprechen wir oft aus. Andreas Pfäfflin (geb. 1964), Heilpraktiker, Psychotherapeut und Autor, präzisiert: »Der Leib ist das ›Bin‹ des Ich, alles was ich bin, unabhängig davon, ob das Ich schon erwacht ist, sondern wie es jeweils entsprechend da ist, dämmert, schläft oder noch gar nicht geboren ist.« Das Ich lebt also in einem Bin: in Gefühlen, Empfindungen, Gedanken oder Glauben. Die Herausforderung unserer Zeit ist es, dem sich entwickelnden Ich einen entsprechenden Leib zukommen zu lassen – einen Leib, in dem alle bisherigen Stufen menschlicher Entwicklung enthalten und künftige veranlagt sind. Pfäfflin nimmt die Einteilung des Philosophen Jean Gebser auf und behandelt das Ich in seiner archaischen, magischen, mythischen, mentalen und integralen Struktur. Der Autor hat sich intensiv mit den Werken von Karlfried Graf Dürckheim und dessen Frau Maria HippiusDürckheim, Carl Gustav Jung und Jean Gebser beschäftigt, aber auch von Rudolf Steiner empfing er wesentliche Impulse.

Seit 3.000 Jahren betrachtet der Mensch die Welt in immer kleineren Teilen. Hierdurch entsteht die Sehnsucht, die einzelnen Teile wieder zu einem Ganzen zusammenzufügen. Doch der Prozess der Individualisierung von Ich und Leib bis hin zur »personalen Identität des Menschen«, der mit der Reformation begann, führt heute tendenziell sogar zur Auflösung der Familie. Nur in den Religionen ist noch eine Orientierung am Urbild möglich.

Unser Selbstbewusstsein gründet auf dem Denken, und wir suchen innerhalb des modernen Welt- und Menschenbildes eine Möglichkeit, unser Denken wieder mit dem Kosmos zu verbinden. Dabei entdecken wir, dass wir »im Kern der Materie auf Nicht-Materie stoßen und alles in der Welt Erscheinende hinter seiner materiellen Gegenständlichkeit im Grunde eine Verdichtung von Nicht-Materie – also von Nichts oder je nach Interpretation von einem Gott, dem Sein oder eben von geronnenem Geist ist«. Wir sprechen z.B. von »Körper-Seele-Geist-Einheit«, oder »integraler Ganzheit« als einer Zusammenfassung vieler Teilwirklichkeiten.

Unbewusst trägt jeder Mensch das Geheimnis vom Ursprung des Lebens in sich. Die Genesis erzählt davon und kündigt die jungfräuliche Geburt (d.h. eine Geburt aus dem Ursprung) eines Kindes an, das zum Erlöser werden soll. Christi Auferstehung wirkt dann als »ein tiefgreifender Umbruch der Wirklichkeit«. Wir leben heute in der sogenannten mentalen Wirklichkeit, aber vorausgegangene Strukturen bleiben unser Besitz. So kann man nicht irgendeine Entwicklungsstufe als die »einzig richtige« ansehen, da der voll entwickelte Mensch letztlich alle Stufen in sich tragen wird. Wird es aber noch weitere Entwicklungen geben?

Pfäfflin führt Jean Gebsers fünf grundsätzliche Bewusstseinsstrukturen mit je eigener Wirklichkeit an. Dabei bleibt der Kern des Menschen nach Pfäfflin in seinem Eigentlichen derselbe, nur der Leib, das »Bin« ändert sich. Unsere mentale Bewusstseinsstruktur kommt nunmehr zu einem Ende und es erfolgt der Übergang in eine neue Wirklichkeit: »Wir stehen meines Erachtens menschheitsgeschichtlich gesehen noch im Beginn unseres eigenen leiblichen Erwachens, unserer leiblichen Wahrnehmung und insbesondere unserer leiblichen Erkenntnismöglichkeiten.« Es wird ein neuer personaler Leib »mit eigenem Wahrnehmungs-, Orientierungs- und Erkenntnispotenzial« entstehen. So wird sich »vom Kern, vom Ich her ein völlig neues paradoxales Zusammenwirken aller bisher entwickelten Bewusstseinsstrukturen vom Ursprung her« zeigen.

In der archaischen Struktur, d.h. noch vor der Zeit, gibt es keine Unterscheidung von Mensch und All. Wir tragen sie nur noch als Ahnung in uns. Doch entsteht schon hier anfänglich das Selbstbewusstsein des Menschen. Ausführlich geht der Autor auf die Genesis und die biblischen Geschichten ein sowie auf Jesus Christus, der »ganz in der Wirklichkeit des Worts, des Ich und des Leibes steht«, weshalb »das Neue Testament als neue Wirklichkeitsstruktur« verstanden werden kann.

In der magischen Struktur erlebt der Mensch »ein erstes, noch schemenhaftes Gegenübersein«. Aber noch ist er nicht vom Kosmos getrennt, denn die magische Wirklichkeit bindet, ja bannt ihn. Auch der Mensch von heute macht in seiner Entwicklung noch derartige Zustände durch; werden sie abrupt unterbrochen, entstehen häufig Persönlichkeitsstörungen wie Neurosen oder Zwänge, die nur bei günstigen Umständen mit Hilfe des Ich überwindbar sind. In jener Zeit begründete sich der kollektive Leib der Menschen, der heute jedoch nicht mehr zeitgemäß und daher unfruchtbar ist. Als die Psychologie im 20. Jahrhundert aufkam, musste sie sich nicht zuletzt mit dem Unbewussten im Einzelnen und in Massenphänomenen auseinandersetzen.

Als »Drachenkampf« lebt die Überwindung der magischen Struktur im Mythos fort. In der daraus hervorgegangenen mythischen Struktur, die dem Traum verwandt ist, erlebt der Mensch erstmals bewusst die Zeit. Polaritäten wie Tag und Nacht oder Mann und Frau als verschiedene Ausprägungen des Menschlichen werden erlebt und begriffen. Pfäfflin geht auf verschiedene Beispiele aus der Bewusstseinsgeschichte ein. Heute ist diese Struktur z.B. als Sehnsucht nach einer anderen Welt erhalten geblieben.

Die mentale Struktur ist die der Gegenwart: »Mit dem Erwachen des Ich im Menschen springt die mentale Bewusstseinsstruktur auf.« Erst durch das bewusste Ergreifen des Raumes arbeitet sich der Mensch im 14. Jahrhundert aus der mythischen Struktur heraus und beginnt, die Welt genau zu untersuchen. »Das Ich errichtet […] mit seinem erwachenden und reifenden Bewusstsein zunächst die Zeitachse als Orientierung und definiert Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft«, schreibt Pfäfflin.

Im Zeitalter der Aufklärung begreift der Mensch sein Ich als »einheitsstiftende Kraft« und betrachtet in der neuen Freiheit des Denkens alles Vorherige als überwunden. Aber mit der Spaltung des Atomkerns im 20. Jahrhundert tut sich vor ihm ein bodenloser Abgrund auf. Nach Jean Gebser muss er nun in die neue integrale Wirklichkeit eintreten, um die Ratio durch die Vernunft abzulösen. Dieser Umbruch wird äußerst krisenhaft sein. Pfäfflin erzählt dazu eine Fallgeschichte aus seiner Praxis. Aber auch wenn ältere Strukturen heute in uns wieder aufbrechen, wird dies oft als psychische Erkrankung gedeutet.

Erst die integrale Bewusstseinsstruktur kann alle vorherigen in sich zusammenfassen. Die paradoxen Wirklichkeiten der mentalen Struktur springen in ein »Drittes« über, das wieder von Zeit und Raum frei sein wird. Pfäfflin berührt Fragen zur Quantenmechanik und – in deren Folge – zur Objektivität der Naturwissenschaft. Denken und Glauben können nicht mehr wirklich tragen. Sensible Menschen erleben Grenzerfahrungen: der Sprung über einen Zwischenraum, in dem sich die Gegenwart des Ursprungs offenbart, wird notwendig. Dies zeigt sich auch in der modernen Kunst. Bei diesen Künstlern können alle bisherigen Strukturen wieder aufleuchten.

Ein unvermitteltes Hereinbrechen des Abgrunds kann zwar zu schweren Identitätskrisen führen, doch wenn die Höherentwicklung gelingt, kann der Mensch in allen seinen Wirklichkeiten anwesend sein. Er hat gewissermaßen einen »Quantensprung des Ich und seines Leibes« erlebt, ist grundlegend verwandelt worden – nach der Überlieferung der »auferstandene Mensch«. Erst in der integralen Struktur kann die einheitsstiftende Kraft des Ich zum Tragen kommen. In den menschheitlich-kollektiven Leib kann diese Wirklichkeit aber nicht eingreifen, sie ist ein neues Tiefenwissen des Einzelnen.Die Zeit, in der an allen bisher errungenen Ordnungen gerüttelt wird, ist schon da. An uns ist es, das zu begreifen.

Zur Zeitenwende begann das mental erwachte Ich im Menschen zu sprechen, und durch Christus leuchtete der künftige integrale Leib auf. So hilft der Kultus im religiösen Leben dem Menschen auf seinem Weg in die Zukunft. Pfäfflin geht auch auf Augustinus und seine Texte über das Ich in der Zeit, auf Aristoteles und Meister Eckhart, sowie auf Luther und das durch ihn neu erfasste Wort Gottes ein.

Im 20. Jahrhundert wurden die Krümmung von Raum und Zeit und der Quantensprung entdeckt. Die Entwicklung der Physik scheint insofern mit unserer eigenen zu korrelieren. Alles Heilige zerbricht und die Freiheit im Kern erscheint. Unsere heutige Wirklichkeit ist vielschichtig und wir versuchen mit unserem mentalen Bewusstsein, sie zu verstehen oder wenigstens auszuhalten. Doch werden wir damit scheitern, denn wir haben zwar schon viel von der äußeren Welt erkannt, aber mit unserer eigenen Wirklichkeit hinken wir um Jahrhunderte hinterher. Besonders aktuell erscheinen die Gedanken des Autors über die stets notwendige innere Auseinandersetzung nach der Öffnung einer äußeren Grenze.

Ein Kardinalsatz Pfäfflins lautet: »In der Ausrichtung auf die in überraumzeitlicher IchFreiheit begründete Menschwerdung treffen sich die hier benannten Menschenbilder und deren ›Schulen‹, […] wenn sie sich auch unterschiedlich formulieren und verschiedene Wege gehen.« Im folgenden Kapitel führt er dies näher aus, wobei er neue Begriffe mit feinsten Abstufungen der Entwicklung einführt. Ein großer Abschnitt befasst sich mit der Anthroposophie. Auch Rudolf Steiner habe eine »die mentale Bewusstseinsstruktur überschreitende Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit« erarbeitet. Doch noch bestimmen »der aufspaltende Intellekt sowie die Kernspaltung […] unsere atomisierte Lebenswirklichkeit«.

Außerdem geht Pfäfflin auf C. G. Jungs Archetypenlehre ein, die eine »psychologische Tür zum geistigen Innenraum der Seele [...] eröffnet«. Er schreibt: »Das Dritte Reich, der Zweite Weltkrieg und erste Atombomben bestätigen Jungs Aussage noch zur Lebenszeit, und sie zeigen in einem die ganze Welt erschütternden Ausmaß die Mächtigkeit des Potenzials, das der Mensch aus sich heraus wohl entbinden, aber nicht verantworten kann.« Pfäfflins Ausführungen zu Karlfried Graf Dürckheim beziehen sich auf dessen Auseinandersetzung mit abendländischer Philosophie und Mystik sowie der östlichen Zen-Tradition. Besonders geht er auf Maria Hippius-Dürckheim ein: sie war die »alleinige Vorreiterin für die mit der Kernspaltung bis ins Ich aufbrechende Bipolarität«.

Bevor er in einem Ausklang die Hauptgedanken nochmals zusammenfasst, erzählt Pfäfflin von seinem eigenen geistigen Entwicklungsweg, der mit einem numinosen Grenzerlebnis in seiner Kindheit begann, das er in seinem Buch ›Identität. Spuren und Erfahrungen entlang des eigenen Weges‹ (Quern 2006) verarbeitet hat. So kann er aus eigener Erfahrung schreiben: »Das Wissen, das dem Einzelnen in der initiatischen Erfahrung in der jeweiligen Lebenssituation aufspringt, muss er sich also nach und nach erst noch erringen und sich aneignen. Dafür ist ein integrales Wahrnehmungsvermögen […] unerlässlich.« Den anthroposophischen Einweihungsweg sieht er dazu in einem Gegensatz, denn hier ist durch die geistige Schulung bereits eine Grundlage für die Erkenntnis geschaffen. Beide Wege sind eine Antwort auf die Not der Zeit, das Ich auf eine höhere Ebene zu heben und ihm, mit Christus zur Seite, einen neuen personalen Leib zu verschaffen.

Der Autor verfügt über eine äußerst präzise, bewunderungswürdige Ausdrucksweise. Diese Sprachbeherrschung erlaubt ihm, feinste Differenzierungen vorzunehmen. Oft drückt er dicht hintereinander Gedanken mehrmals mit verschiedenen Worten aus, was das Verständnis erleichtert. Und es prägt sich der Inhalt durch diese Wiederholung dem Leser ein, auch wenn er es beim ersten Mal bereits verstanden hat. Es ist ein staunenswertes Buch, das vieles uns Bekannte und Unbekannte zusammenfasst – wie Splitter, die zu einem Mosaik zusammengefügt werden. Oft scheint es bereits aus einem integralen Bewusstsein heraus geschrieben zu sein. Das vorliegende Buch ist für jeden, der bereit ist, sich damit intensiv auseinanderzusetzen, außerordentlich spannend. Man findet hier – im Sinne einer Vertiefung – vieles bestätigt, was aus der Anthroposophie bereits geläufig ist.

Quelle: Die Drei, Heft 10, 2017

Erscheinungsdatum: 12.2015
Seiten: 398
Einbandart: kartoniert
ISBN: 978-3-941664-46-3