Mein Freund fürs Leben

Mein Freund fürs Leben

Goethe als Partner der Selbsterkenntnis und Selbsterziehung

von Peter Schraud, Guido Huppelsberg |

Das Buch zeigt, dass und wie Goethe tatsächlich, von welcher Erfahrungsebene man sich ihm auch nähert, ein Helfer sein kann zur Mitte, zum Menschlichen hin.


EAN 9783941664449

Hersteller: Novalis-Verlag

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In diesem Buch geht es um Spiegelung, ein Verfahren, wie der moderne Mensch sich seiner selbst bewusst wird, möglichst ohne Selbsttäuschung. Und wie könnte er Treffenderes über sich erfahren als mithilfe anderer Menschen, seien es Mitlebende – „Die Existenzen fremder Menschen sind die besten Spiegel, worin wir die unsrige erkennen können“(an Charlotte von Stein, 9. September 1783) – oder Vertrauensleute, die sich bewährt haben – wie Goethe. Er wird nach 200 Jahren immer aktueller, und woran mag das liegen? Weil er selbst unablässig bemüht war, nur das Menschliche gelten zu lassen, unabhängig von Rang und Stand, Alter und Geschlecht, Hautfarbe und Religion. „Sinn und Bedeutung meiner Schriften und meines Lebens ist der Triumph des rein Menschlichen“ schreibt Graf Alexander G.Stroganoff mit (1825/30).

Die vielen hundert Menschen, die ihn in Weimar aufsuchten um ihn zu sehen, fragte er stets aus, wie sie gereist sind, wie es in ihrer Heimat aussah oder was ihre besonderen Fertigkeiten und Kenntnisse sind. Um Menschenkenntnis zu gewinnen, war ihm die Zeit eben recht, die sie ihm abknapsten. Auch die vielseitige Interessiertheit hatte er sich anerzogen. Von Jugend auf wäre er der Kunst und Dichtung verbunden geblieben, doch dem Herzog von Weimar zuliebe, um in dessen kleinem Land wirkungsvoll eingreifen zu können, erwarb er sich Kenntnisse in Bergbau und Geologie, Pflanzenkunde und spezielleren Forschungen wie Anatomie, Farbenlehre, Wetterkunde. Goethe blieb an allem interessiert, und bekanntlich konnte er gut mit Kindern umgehen…

Das Buch zeigt, dass und wie Goethe tatsächlich, von welcher Erfahrungsebene man sich ihm auch nähert, ein Helfer sein kann zur Mitte, zum Menschlichen hin.

Vom selben Autor liegt auch die materialreiche Biographie “Graf Saint-Germain – unser Bruder” und “Christian Rosenkreutz und das Menschheitsziel” vor.


Rezension

Über keinen Autor gibt es so viel Sekundärliteratur wie über Goethe. Kann man überhaupt noch etwas Neues über ihn sagen? Ja, man kann! Zwei Bücher sollen hier betrachtet werden, die sich nicht nur vom Umfang, sondern auch nach ihrem Ansatz gründlich voneinander unterscheiden.

Es wäre verfehlt, Peter Schrauds kleines Buch Mein Freund fürs Leben – Goethe als Partner der Selbsterkenntnis und Selbsterziehung als Sekundärliteratur zu bezeichnen, denn es handelt vom Autor selbst, der sich an Goethe spiegelt, aufrichtet und ihn für das eigene Leben fruchtbar macht. Dass man dadurch auch einiges über den Verfasser erfährt, liegt in der Natur der Dinge. Goethe sagte einmal, er habe ein Schiff erbaut »auf einem Berge, tausende Meilen vom Ozean entfernt. Aber das Wasser wird steigen, mein Schiff wird fahren und schwimmen«. Schraud lässt, davon ausgehend, knapp 40 kurze Texte zu den verschiedensten Themen folgen. Oft erwähnt er die Lektüre von Goethes Faust und Wilhelm Meister. Ohne weitere Umschweife taucht er in den Reinkarnationsgedanken ein, dem auch Goethe in seinem Werk, in Gesprächen und Briefen Ausdruck gab. Weiter berührt er die Notwendigkeit der Selbsterziehung und damit zusammenhängend der Meditation. Dazu jedoch bekommt er keine Hilfe von Goethe, der nicht meditierte, sondern kontemplativ die Dinge anschaute, bis sie ihm ihr innerstes Geheimnis verrieten. Ein weiteres für Schraud wichtiges Thema betrifft Anna Amalia; er weist auf Ettore Ghibellinos Buch Goethe und Anna Amalia – Eine verbotene Liebe? hin, das seit seinem Erscheinen 2003 für Aufregung sorgt. Hat Goethe sozusagen 225 Jahre lang etwas Wichtiges verschwiegen? Schraud ist fest davon überzeugt, drängt es dem Leser jedoch nicht auf. Ob Goethes »Woher sind wir geboren«, Variation eines Gedichts aus der Chymischen Hochzeit des Christian Rosenkreutz, nur für Anna Amalia gedacht war? Peter Schraud spricht hier selbst von wahrhaft praktischem Christentum.

Er bearbeitet einzelne Motive wie Geduld (mit andern, nicht mit sich selbst!), Zeichendeutung (über die Spiegelung, die Zusammenhänge erkennen lässt bis hin zur reinen Wahrnehmung) und das Anderssein; hier sieht er die Verbindung zweier so gegensätzlicher Naturen wie Goethe und Schiller als »ein geheimnisvolles, ich hoffe prophetisches Beispiel sozialer Alchemie«. Schrauds persönliche Erfahrung mit dem »heißen Stuhl«, auf dem er sitzen musste, während die Mitarbeiter über seinen Verbleib im Betrieb entschieden, ist äußerst lehrreich für die Leser; die meisten würden ein solches Erlebnis als peinlich verdrängen. Interessant ist auch sein Umgang mit Verletzungen. »Ich wehrte ab, was mich in verletzender Absicht treffen sollte, ich empfing nur noch die Botschaft, nicht mehr die Wunde.«

Das kleine Buch ist sehr humorvoll. Die kurzen Abschnitte sind sogar zum »Zwischendurchlesen« geeignet. Also kein Buch, durch das man sich hindurchquälen muss. Und trotzdem: Jeder Text ist originell und von tiefem Gehalt. Zum Beispiel das Kapitel über »Hässliches«: »Die Wohlgestalt, das Menschenbild zu retten – so wird mir Goethe fasslich mit einem Anliegen, das heute fast verspottet zu werden scheint.« Vielerorts ist das Buch sehr persönlich. Aber man muss nicht mit allen Anschauungen des Autors konform gehen, um es zu würdigen. Da das Gedankengut der Anthroposophie als bekannt vorausgesetzt wird, ist es nur für gutwillige Insider geeignet; außerhalb dieses kleinen Kreises kann es für Befremden sorgen. (Beispiel: bei dem Wort »Mitgebrachtes« weiß jeder Anthroposoph Bescheid, andere aber nicht). Schrauds Begeisterung für Goethe und die Geisteswissenschaft Rudolf Steiners zeigt sich – neben dem Inhalt seines Buches mit vielen unkonventionellen Hinweisen – auch in den häufigen Ausrufezeichen und in dem sehr lebendigen Satzbau mit etlichen Einfügungen, Parenthesen und Metaphern. Dieses Buch geht konform mit Schrauds bisherigen Büchern wie Graf SaintGermain – unser Bruder (2011) und Christian Rosenkreutz und das Menschheitsziel (2013). »Die eigene Essenz in mehrfacher Destillation einer alchemistischen Verwandlung zuzuführen« – dieser Satz von Carl Gustav Carus drückt in vollendeter Form Schrauds Anliegen aus. Die Quintessenz seines Buches könnte sein: Goethe lebt weiter! Und nicht nur das, er scheint immer lebendiger zu werden, je länger er tot ist. Hat sein Schiff bereits Fahrt aufgenommen? Es ist ein Buch zum Sich-klar-Werden – in erster Linie für den Autor, dann für diesen oder jenen Leser. Und selbst wenn es nur einer sein sollte – schon dadurch wäre das Buch gerechtfertigt. So kann man durchaus empfehlen, es mehr als einmal zu lesen, im Sinne von Goethes Rat: »Du prüfe dich nur allermeist, / ob du Kern oder Schale seist.«

Das umfangreiche Buch von Imanuel Klotz Goethes Leben im Rhythmus von sieben Jahren. Von Moses zu Goethe erzählt zunächst vom uralten Symbol der Schlange. Moses gelang es, sie aufzurichten! »In unserer Zeit hat sie Goethes Dichten und Denken als Sinnbild der Freiheit weiterentwickelt und ihr Wirken im Rhythmus von sieben Jahren sichtbar gemacht.« Goethe erkannte, dass ein »ahrimanischer Sündenfall« (Rudolf Steiner) unsere Kultur bedroht. Ein Abgrund, über den eine geistige Brücke gebaut werden muss. Drei Persönlichkeiten haben Klotz zu diesem Buch besonders inspiriert: Der Arzt und Heilpädagoge Karl König, der Pfarrer der Christengemeinschaft Friedrich Benesch und der Philosoph Diether Lauenstein.

Die fünf Hauptthemen dieses Buches sollen hier kurz angerissen werden:

I. Von Moses zu Goethe. Beginnend mit dem Themengebiet Wiedergeburt und Reinkarnation, schreibt der Autor über Goethe: »Seine Art durch das Leben zu gehen entfaltet [...] das Wesen der Biographie; sie eröffnet den Blick auf das karmische Prinzip der Zeitgestalt, das in den Siebenjahresepochen waltet.« Diese astralischen Rhythmen werden in seinem Buch intensiv betrachtet. Goethes Denken wurde von Rudolf Steiner mit der Anthroposophie weitergeführt.

II. »Kindheit und Jugend« umfasst Gedanken zur Entwicklung des Kindes im ersten Lebensjahrsiebt (Saturnepoche) – allgemein und im Hinblick auf Goethe, bis hin zur Rückschau des alten Dichters mit Urworte orphisch. Im zweiten Lebensjahrsiebt (Sonnenepoche) werden Ätherkräfte frei; Intelligenz und Liebe können sich entwickeln. Anhand der »französischen Talentverschiebung« wird gezeigt, welche Probleme gerade ein großer Geist wie Goethe in der Jugend zu bewältigen hat.

Die Mondepoche (drittes Jahrsiebt) entfaltet allmählich den Geisteskeim. In Jahren des Ausreifens erlebt Goethe Freundschaft und erste Liebe. Im Verlauf einer lebensbedrohlichen Krankheitskrise lockern sich seine Wesensglieder. Durch geistigen Beistand (Susanne von Klettenberg) wird Goethes Leben gestärkt und neu geordnet. Wichtig werden für ihn Mentoren-Freundschaften (E. W. Behrisch, Herder und andere).

III. Epochengemeinschaft: Das Ideal der Selbsterziehung wird im vierten Lebensjahrsiebent (Marsepoche, 21. bis 28. Lebensjahr) bestimmend. Shakespeare und Spinoza werden Goethes geistige Begleiter. Ein Wort Pindars, das den Wert des Erlebten gegenüber dem nur Erlernten unterstreicht, dringt ihm wie »Schwerter durch die Seele«.

Im Jugend-Faust (Urfaust) deckt Goethe den »ahrimanischen Sündenfall« auf und gestaltet ihn in der Gretchentragödie. Der Dichter lernt sich selbst erfassen in der Ahnung einer Beziehung zwischen Empedokles und dem realen Faust des 16. Jahrhunderts!

Der Autor erwähnt die Verlobung mit Lili Schönemann, die mit der Trennung enden musste. Steiner schrieb in »Psychosophie«, Goethes Seele sei ein »Kampfplatz, auf dem sich abspielt der Kampf zwischen dem Helden Goethe, der [...] Träger seines Genius ist, und [...] etwas anderem, was er niederzukämpfen hatte in seiner Seele. Und wäre dieser Kampf nicht dagewesen: Goethe wäre nicht Goethe geworden.«

In der Merkurepoche kommt Goethe an die Schwelle der geistigen Welt; er erkennt die »Doppelnatur des Menschen«; ebenfalls ein Begriff, den Steiner prägte. Goethes innere Entwicklung führt durch viele Prüfungen, wie bei seinem Wilhelm Meister. Eine Rückschau auf die Jugend lässt ihn die Sonnenkräfte empfinden, die zur geistigen Wiedergeburt führen. Ausführlich geht Klotz auf Iphigenie als Leitbild der Wiedergeburt ein, desgleichen auf die Mentoren-Freundschaft mit Herzog Carl August und auf esoterische Hintergründe, betreffend das alte Ägypten. So kommt er zum Kern des Buches: Von Moses zu Goethe. Die zweite Merkurepoche, in der der soziale Aspekt der Bewusstseinsseele hervortritt, setzt Klotz zu den Kindheitskräften in Relation. Besonders berührt das Thema »Hässlichkeit« als Grundlage für Schönheit. Weiter geht er auf Goethe als »Vater der Metamorphosen-Lehre« ein. Ein Exkurs zu Carl von Linné macht deutlich: Goethe suchte nicht eine Systematik, sondern »die Wahrheit um ihrer selbst willen«. Klotz bezeichnet den Kopf als »erstgeborenen Denker«, das Herz als »zweitgeborenen Denker«. D.h. »Goethe und Linné ergänzen sich im Sinne einer geistigen Arbeitsteilung«. Nach Steiner ist die Umwandlung von Kopfwissen in Herzenswissen das Ziel einer künftigen Naturwissenschaft.

Im Kapitel IV »Turmgesellschaft« (dritte Merkurepoche) tritt das Geheimnis des Geistselbst auf. Der junge Wilhelm Meister gelangt zur Turmgesellschaft, die keine feststehende Institution ist, sondern sich zusammenfindet, um eine bestimmte soziale Aufgabe zu erfüllen. Im achten Jahrsiebt (erste Jupiterepoche) arbeitet Goethe am Faust. In der »Zueignung« verarbeitet er das astrale Geschehen aus seinem eigenen Leben.

Vieles trägt I. Klotz heran, was Goethe als Christ kennzeichnet, wenn auch nicht im äußern, landläufigen Sinne. Besonders hebt er den österlichen Christus-Impuls hervor und bemerkt: »Fausts Verlangen, sich mit der geistigen Welt zu verbinden, erscheint mir ein Zug vom ewigen Wesen dieser Individualität zu sein.«

V. Patriarchenalter. Im zehnten Lebensjahrsiebt dichtet Goethe den West-östlichen Divan, nachdem er von altpersischen und mohammedanischen Überlieferungen berührt worden war. Hafis Gedichte wirkten noch in der Übersetzung sehr stark auf ihn. »Ich musste mich dagegen produktiv verhalten, weil ich sonst vor der mächtigen Erscheinung nicht hätte bestehen können.« So durchdringt Goethe seine Dichtung mit einem überreligiösen Christentum, das auch den Islam gelten lassen kann. Durch die zwölf Bücher des West-östlichen Divans wird er zum »Vater einer neuen Ästhetik«.

Der Autor findet in Karl Königs Camphill-Bewegung eine Frucht von Goethes kulturellen Impulsen, die zu einer geistgemäßen Gemeinschaft führen. In der Sorge um das seelenpflegebedürftige Kind bildet sich eine Epochengemeinschaft aus, die nach dem Vorbild der Turmgesellschaft handelt.

Hier ist einer, der ernst macht mit Goethe. Ein gedankentiefes, bewundernswert gründliches Buch, das viele, teils kaum bekannte Einzelheiten aus Goethes Leben aufarbeitet, und dabei sehr gut verständlich geschrieben ist. Viele, auch längere Zitate von Rudolf Steiner untermauern den Text. Ein paar kleinere Dinge fielen auf, wie mehrmals »Herrenhuter« statt Herrnhuter. Mehr Kommas, um die Sätze in herkömmlicher Weise zu gliedern, würden helfen, Missverständnisse zu vermeiden. Das Buch ist so umfassend, dass man es wieder und wieder hervorholen und wenigstens abschnittweise lesen sollte.

Imanuel Klotz, geboren 1947 in Gotha/Thüringen, studierte Sozial- und Heilpädagogik und besuchte das Seminar der Christengemeinschaft. Eine intensive Goetheforschung mit anthroposophischem Hintergrund begleitete ihn. Häufig veröffentlichte er Artikel in der Zeitschrift Der Europäer. Das vorliegende Buch mutet wie die Arbeit eines ganzen Lebens an. Es ist besonders geeignet für Leser mit anthroposophischem Hintergrund (»Fortgeschrittene«), die in Goethes beispielhaftes Leben noch tiefer eindringen wollen.

Insgesamt erscheint das Buch von Peter Schraud als eine eher subjektive, das von Imanuel Klotz als objektivere Darstellung. »Innen und außen« also? Aber kann das »Innen« – Gefühle und Gedanken – nicht ebenso objektiv betrachtet werden wie äußere Dinge in der physischen Welt? Dann wären beide Autoren in unterschiedlicher Weise auf demselben Weg, dem Weg zur geistigen Verinnerlichung von Fühlen und Denken.

Quelle: Die Drei, Heft 11, 2015

Erscheinungsdatum: 18.03.2015
Umschlagabbildung: Goethes Miniaturbildnis auf einer Porzellantasse von Ludwig Sebbers, 1826. © Klassik Stiftung Weimar, Goethe-Nationalmuseum
Auflage: 1. Auflage
Produktform: Klebebindung
Seiten: 117
Format: 18,5 x 12,5 cm
Einbandart: Kartoniert
ISBN: 978-3-941664-44-9