Anthroposophische Spiritualität

Anthroposophische Spiritualität

Denken, Meditation und geistige Erfahrung bei Rudolf Steiner Eine Einführung

von Jens Heisterkamp |

Waldorfpädagogik, bio-dynamischer Landbau, Misteltherapie, Wirtschaftsunternehmen wie Weleda - fast jeder kennt die Anthroposophie als praktische Reformbewegung. Worin aber liegt ihre spirituelle Botschaft? Das vorliegende Buch antwortet auf diese Frage und zeichnet den Weg nach, den Rudolf Steiner selbst vom philosophischen Denken zu Meditation und geistiger Erfahrung gegangen ist.


EAN 9783957790200

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So entstand ein neuer Zugang zu Spiritualität, der den Intellekt in Richtung einer Selbstklärung des Bewusstseins übersteigt. Ebenso dialogisch offen für neu Interessierte wie auch vertiefend für Kenner der Anthroposophie zeigt dieses Buch, worum es der anthroposophischen Spiritualität geht: um Selbstfindung im All-Einen.


Rezension

Anthroposophie nimmt in jedem Menschen eine andere Form an, denn es füllt nicht der Mensch eine vorgegebene, fertige Form mit Namen Anthroposophie aus. Sie ist das Gesicht und die Biografie des Menschen, der sich mit ihr tätig verbunden hat – falls sie authentisch sein soll. Ebenso verhält es sich wohl mit jeder Spiritualität, die sich in Begriffen, Lehren und Traditionen manifestiert hat. Insofern ist auch die anthroposophische Spiritualität unendlich individualisierbar, ohne aber willkürlich veränderbar zu sein. Ein interessantes und nicht ganz unproblematisches Spannungsfeld.

Diese und ähnliche Fragen gingen mir durch den Kopf, als ich das Buch von Jens Heisterkamp über Anthroposophische Spiritualität las. Denn die Schrift ist entstanden in einem ganz spezifischen menschlichen und geistigen Kontext, der freilich nicht nur ein persönlicher ist. Wie kann Anthroposophie – nach so vielen Jahrzehnten der Isolierung – in Dialog mit anderen, mehr oder weniger verwandten, zeitgenössischen spirituellen Richtungen treten? Sich von ihnen befruchten lassen, von ihnen lernen, Grenzen von Vokabular und religiöser Grundprägung hinter sich lassen, um dem Zeitgeist evolutionär denkender, moderner Spiritualität Rechnung zu tragen?

Heisterkamp schreibt für eine Leserschaft – so seine eigenen Worte und mein Leseeindruck –, die nicht aus Anthroposophen besteht, sondern für diejenigen, mit denen er in den letzten Jahren vermehrt zusammengearbeitet hat, z.B. in der sogenannten »Herbstakademie Frankfurt«. Dort treffen sich Menschen, welche, inspiriert von Andrew Cohen, Ken Wilber, buddhistischer Praxis etc., im Austausch sind und für die dieses kleine Buch eine Möglichkeit sein kann, den Ansatz Steiners in einer durch den Autor individualisierten Form genauer kennenzulernen.

Heisterkamp beginnt seine Einführung mit der Auswahl einiger Schlüsselerlebnisse in Rudolf Steiners Leben, von denen ich drei herausgreife: dessen Aufwachsen zwischen moderner Technik und Naturerlebnissen, sein initiatorisches Schauen einer durch Suizid ums Leben gekommenen Tante im Alter von sieben Jahren, dem späteren Ringen um Einsicht in die Natur des Ich am Werk des Philosophen Schelling. Deutlich werden hier bereits bestimmte Weichen gestellt, die auch später prägend für die Anthroposophie werden sollten: die Einsicht in eine geistige Welt, die sich in konkret Wesenhaftem offenbart und der Drang, diese mit dem klaren und wissenschaftlichen Denken zu verstehen.

Heisterkamp setzt im Folgenden ganz auf die von Steiner entwickelten philosophischen Grundlagen der Anthroposophie. Er erkundet ausführlich die Begriffe Freiheit und Erkenntnis und die monistische Weltsicht der Anthroposophie vor dem Hintergrund zeitgenössischer Spiritualität. Ein kurzer Blick wird auf die Gründung der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft 1923 geworfen. Wesentlich ist für Heisterkamp hier Steiners Intention, Selbstverwandlungsprozesse durch Schulungsmethoden anzuregen, die in die Praxis des Lebens einfließen können und nicht von diesem wegführen. Unter der Überschrift »Spirituelle Grundmotive« entfaltet Heisterkamp – wieder in Anknüpfung an Gegenwartsfragen – Steiners »Mystik des Denkens«, wie er es nennt, wobei der freie Wiederanschluss des Menschen an die verlorene Ganzheit und Universalität des Kosmos und die alles tragende Gottheit ganz auf das Fundament einer Verwandlung und Entfaltung der Denkkräfte gestellt wird. Ob Thomas Nagel (Geist und Kosmos), Ken Wilber, Wolfgang Welsch, Eckart Tolle und andere – Steiners Ansatz, das Subjekt mit dem All-Ich oder der All-Einheit zusammenzuschließen wird im Einklang mit den geistigen und philosophischen Denkern und Lehrern moderner Spiritualität gesehen. Dabei gelingt es Heisterkamp, durch scheinbar ganz verschiedene Sprachen hindurch zu hören auf den gemeinsamen Gehalt der Begriffe.

Besonderes Augenmerk wird auf den Punkt gelenkt, wo das Denken sich in der Meditation allen Inhaltes entledigt und im Vollzug vollkommener Leere die Einheitserfahrung macht – ohne das Ich-Bewusstsein zu verlieren.

Auch den evolutionären Ansatz eines so herausfordernden Buches wie Steiners Geheimwissenschaft im Umriss sieht der Autor im Strom all jener Bewegungen, die den Entwicklungsbegriff auf das menschliche Bewusstsein anwenden. Steiners bereits vor 100 Jahren entstandenen Entwürfe zu Fragen der Individualisierung, Bewusstseinsentwicklung, biologischen Evolution und der Spannung von individuellem und universellem Bewusstsein werden auf diese Weise durchaus überzeugend und kenntnisreich mit einer globalen, allgemeinen Spiritualität verschiedener Ausprägungen zusammengeführt.

Ansätze der mystischen Strömungen unterschiedlicher Religionen erscheinen als Vorläufer und Inspiratoren heutigen Strebens und Suchens, und auch die ausführliche Darstellung von Steiners nicht vereinheitlichbaren, vielfältigen Anregungen zur geistigen Schulung fügen sich ein in den breiten Strom westlicher und östlicher Bemühungen, dem Menschen durch bewusste Transformation auf eine höhere, »integrale« Stufe zu verhelfen. Dabei bleibt es ganz dem mündigen Individuum überlassen, welche Wege es für sich wählt oder welche Elemente es weiterbringen. Insofern hat Heisterkamp sein sich selbst gestecktes Ziel konsequent und zum Gewinn für eine spirituell offene und interessierte Leserschaft umgesetzt. Das Buch ist zudem klar aufgebaut und gut verständlich geschrieben, so dass auch hier die Voraussetzung für den Dialog erfüllt ist.

Anthroposophie ist eine besondere Form der Geistigkeit des Westens; sie individualisiert sich in jedem, der sich mit ihr verbindet. Die dadurch bedingte Einseitigkeit des besprochenen Buches könnte Anlass für Diskussionen geben, ob hier auch wirklich die essenziellen Merkmale der Anthroposophie »vertreten« werden. Schließlich fehlen die Lehre von den Hierarchien und den Wesen in den Naturreichen, Reinkarnation und Karma, die Vertiefung einer Sozialgestalt wie der Anthroposophischen Gesellschaft, die methodischen Erkenntnisstufen Imagination, Inspiration, Intuition, das zweifach wesenhafte Böse, die Vorstellung der sogenannten Lebensfelder und ihrer speziellen Forschungsansätze, ja der gesamte spezifisch empirische Zugang Steiners zum Übersinnlichen und – nicht zuletzt – das Verständnis für den überkonfessionellen christlichen Aspekt der Anthroposophie. Um nur einiges zu nennen. Mir selbst sind gerade die das Wesenhafte erfassenden Erkundungen hinter oder in den Erscheinungen der Sinne und in der eigenen Seele sehr wichtig – beispielsweise in der Arbeit mit den Meditationstexten der sogenannten »Ersten Klasse« der Freien Hochschule (oben erwähnt) –, hat mich doch gerade das Antlitzhafte einer »bevölkerten« geistigen Welt vor vielen Jahren geradezu von der Anthroposophie überzeugt und tut es noch immer – trotz der unzähligen naiven Abwege und Irrtümer, die das in sich birgt. Die Frage ist doch, ob wir in der Lage sein werden, die unserer persönlichen Vorstellung und Erfahrung widersprechenden Auffassungen über das, was Anthroposophie »ist«, nicht nur zähneknirschend zuzulassen, sondern so zu bejahen, dass es in Zukunft eine vielfältige Formenausprägung geben wird. In einer solchen Vielfalt wird beispielsweise die Hierarchienlehre wieder anders interessant, nämlich als authentische spirituelle Erfahrung, die hinter allen Erscheinungen ein sich zu etwas Wesenhaftem konkretisierendes Bewusstsein einfach auffindet, wenn sie sich nicht schon prinzipiell davor verschließt – jenseits aller naiven Bildersehnsucht oder Vorstellungsgebundenheit. Nur so würden die im Unverbindlich-Allgemeinen schwebenden Begriffe, mit denen sich die Evolution von Welt und Bewusstsein so leicht erklären lassen, bereichert durch die Empirie dialogischer Begegnung, die auch im Übersinnlichen das Du zu finden in der Lage ist.

Quelle: Die Drei, Heft 2, 2015

Erscheinungsdatum: 10.2014
Auflage: 1.
Seiten: 136
Einbandart: Paperback
ISBN: 978-3-95779-020-0