Parsifal – der Mythos vom modernen Menschen

Parsifal – der Mythos vom modernen Menschen

Hinführung zu Richard Wagners Bühnenweihfestpiel

von Michael Debus |

(...) Michael Debus führt den Leser Stufe für Stufe zu diesem neuen Mythos vom modernen Menschen auf Wegen, die Wagner selbst ging und die von Rudolf Steiner beleuchtet und gedeutet wurden. So öffnen sich unerwartete Türen zu einem vertieften Verständnis des Bühnenweihfestspiels Parsifal.


EAN 9783723515259

Hersteller: Verlag am Goetheanum

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Parsifal, das letzte Werk Richard Wagners, nimmt in seinem musikdramatischen Schaffen eine einzigartige Stellung ein. Wagner selbst sah in ihm „die Krone all meines Schaffens“. Und zugleich war ihm schmerzlich bewusst, dass „eine Handlung, in welcher die erhabensten Mysterien des christlichen Glaubens offen in Szene gesetzt sind“, es schwer haben würde, als „Bühnenweihfestspiel“ verstanden zu werden. Die äußere Anregung zur Beschäftigung mit dem mittelalterlichen Grals-Mythos hat Wagner durch Wolfram von Eschenbach empfangen. Dann aber hat er aus seinem eigenen Zugang zu den inneren Quellen der Grals-Erzählung den Mythos des modernen Menschen im Licht eines zukünftigen Christentums freigelegt: „Wie die ersten Christen erwarte ich eine Wiederkunft von Christus.“Was in seiner Zeit noch Zukunft war, ist inzwischen Gegenwart geworden. Rudolf Steiner hat diese Wirklichkeit in seinen Mysteriendramen enthüllt – Wagner hat schon prophetisch aus dieser Zukunfts-Wirklichkeit seinen Parsifal geschaffen.Michael Debus führt den Leser Stufe für Stufe zu diesem neuen Mythos vom modernen Menschen auf Wegen, die Wagner selbst ging und die von Rudolf Steiner beleuchtet und gedeutet wurden. So öffnen sich unerwartete Türen zu einem vertieften Verständnis des Bühnenweihfestspiels Parsifal.


Rezension

Frankfurt am Main, im März 2015: Im bis auf den letzten Platz gefüllten Opernhaus nehmen viele hundert Menschen, die wohl größtenteils dem säkularisierten Bürgertum der Stadt und ihrer Umgebung zuzurechnen sind, über Stunden andächtig an den Klängen und Vorgängen des ›Parsifal‹ von Richard Wagner teil. In den Szenen und Gesängen, deren Wortlaute parallel zum Mitlesen angezeigt werden, entfaltet sich nicht weniger als die Wirksamkeit von Schuld, Mitleid, Opfer und Verwandlung, recht eigentlich also der Inhalt des Christentums, gipfelnd mit dem Schlussbild in der Kommunion. – So geht es vielerorts, Jahr für Jahr: Für viele gehört der ›Parsifal‹ so selbstverständlich zum Festzeitprogramm wie Bachs Weihnachtsoratorium im Dezember.

Man kann darüber staunen, denn wie viele dieser Menschen würden sich wohl bereit finden, mit derselben Andacht das Wandlunggeschehen am Altar einer christlichen Kirche mitzuvollziehen? Oder sich in eine der ursprünglichen Parzival-Dichtungen des Chrétien de Troyes (12. Jahrhundert) oder des Wolfram von Eschenbach (13. Jahrhundert) zu vertiefen?

Von der Tatsache, dass das Gros der heutigen ›Parsifal‹-Inszenierungen von den Intentionen seines Schöpfers, die dieser so deutlich beschrieben hat, nicht nur abweichen, sondern sie teilweise gar pervertieren, lassen sich manche Liebhaber dieses Werks zwar abhalten, andere dagegen betonen das unbedingte Primat der Musik vor dem Bühnenbild – und lauschen notfalls mit geschlossenen Augen. 

Richard Wagner hat sich nicht zuletzt durch sein Gesamtkunstwerk einen Namen gemacht, indem er nicht auf vorhandene Libretti zurückgriff, sondern die Texte selber verfasste, dabei die mythischen Geschichten und Gestalten nach eigenen Einsichten zusammenfügte – schon darin als Komponist schöpferisch. So nahm der inhaltliche Entwurf für den Parsifal ausgehend von einem »Karfreitags-Erlebnis« 1857 erste Formen an, einige Jahre später verfasste Wagner für seinen Freund und Gönner Ludwig II. von Bayern einen ausführlichen Prosaentwurf, aus dem deutlich wird, wie er das Drama, das er freilich erst kurz vor seinem Tod komponieren wird, in seinen Schritten und Einzelheiten als Ganzes vor sich hat.

Von diesem Textentwurf und dem später entstandenen Wortlaut des ›Bühnenweihfestspiels‹ geht Michael Debus in seiner Ende 2014 erschienenen Hinführung zum ›Parsifal‹ aus, indem er auf eine Bezugnahme auf die Musik bewusst verzichtet und postuliert, dass »das vorherrschende Engagement Wagners für den Parzival-Stoff vom Dichter, nicht vom Musiker« ausgehe (Seite 81) .

Um zu zeigen, inwiefern schon bei Wagners Parsifal-Dichtung von einem neu geschaffenen »Mythos des modernen Menschen« gesprochen werden kann, geht Debus von einem »neuen Christentum« aus, welches sich nicht mehr allein auf Überlieferung stützt, sondern als gegenwärtige Wirklichkeit in hauptsächlich drei Gebieten zu erfahren ist, wie Rudolf Steiner 1910 sie beschrieb, als er von der Wiederkunft des Christus im Ätherischen sprach. Dieses Christentum wird gekennzeichnet sein

– durch eine neue Beziehung des Menschen zur Natur und zum Jahreslauf,

– durch eigene Schau-Erfahrungen, die von Menschen gemacht werden können, sowie

– durch ein neues Verständnis des Bösen als Entwicklungsdynamik für den Menschen. 

Wie nah Wagner selbst dieser Perspektive gewesen ist, belegen Zitate, die Debus zusammengetragen hat.

Nachdem er in einleitenden Kapiteln die wesentlichen Motive zu einem vertieften Verständnis des Werkes im Sinne der skizzierten Gesichtspunkte vorgestellt hat, führt Debus im Hauptteil durch die drei Akte. Dabei zeigt er, wie der Handlung zunächst ein dualistisches Prinzip zugrunde gelegt ist, das sich in der Polarität der Figuren und Schauplätze zeigt, dann aber als leitende Kategorie für das Ziel des Stücks das dynamische Prinzip der Dreiheit immer deutlicher erscheint: Die Erlösung ergibt sich nicht »einfach« durch den Sieg des »Guten« über den »Bösen«; die Krise in der Gralsburg, ausgelöst durch den Verlust des Speeres, in welchem das »tätige und in der Welt wirkende Ich« (S. 77) erkannt werden kann, ist eine anthropologische Grundtatsache. Sie setzt einen Prozess in Gang, der nicht auf eine Wiederherstellung der vorigen »heilen« Verhältnisse zielt. Im Wiedergewinnen der Gralsburg durch Parsifal (nicht in der Rückkehr zu ihr) zeigt sich eine neue Wirklichkeit: »Der wiedergewonnene Speer ist eine höhere Wirklichkeit als der unverlorene Speer« (Seite 129).

Wie sich das in den Figuren und ihren Beziehungen zueinander gestaltet, wird von Debus mit Kenntnis und Überzeugungskraft entwickelt. Dabei erfreuen die gut gewählten, einleuchtenden Beispiele und der vielfache, ganz konkrete Lebensbezug. Debus’ Fazit, dass Wagners »Parsifal als eine sachgerechte und eigenständige mythische Schöpfung der Gralssage für unsere Gegenwart gelten« könne (Seite 136), lädt zu einer intensiven Beschäftigung ein, zumal sich an vielen Stellen in dem übersichtlich und knapp gefassten Buch Hinweise für eine Vertiefung einzelner Bereiche finden. Das alles gibt dem Buch eine nachhaltige Aktualität, ganz unabhängig von der Möglichkeit, das Stück früher oder später wieder auf der Bühne zu sehen.

Quelle: Die Drei, Heft 3, 2016

Erscheinungsdatum: 10.2014
Auflage: 1.
Seiten: 168
Einbandart: kartoniert
ISBN: 978-3-7235-1525-9